Kyo und Jitsu und die Rückbesinnung auf das Daoyin
von Paul Lundberg
Masunaga entwickelte seine Theorie von Kyo-und-Jitsu, um seine Beobachtungen der spontanen Anpassungsfähigkeit aller Lebensbewegungen an innere oder äußere Umstände zu beschreiben.
Die Begriffe Kyo und Jitsu haben eine Vielzahl ganz allgemeiner Bedeutungen in Japan. Bei Masunaga beschreiben sie die verborgenen Bedürfnisse des Körpers - Kyo in Beziehung zu seinen sich oberflächlicher zeigenden Anpassungsreaktionen (auf dieses Bedürfnis) - Jitsu. Diese beiden Aspekte sind ganz offenbar miteinander verbunden und sind somit ein Ausdruck der allem zugrundeliegenden Harmonie von Yin und Yang. Die tiefergehende Aussage seiner Theorie ist, dass jeder temporären Störung (Jitsu) eine Harmonie zugrunde liegt (Kyo). So betrachtet stellt die Kyo/Jitsu-Reaktion eine Ausdrucksform der Gesundheit dar, die man wahrnehmen und die unsere heilende Berührung leiten kann – ein vereinigendes Prinzip, das den Gebenden und Nehmenden verbindet.
Als Masunaga seine Kyo/Jitsu-Theorie erweiterte, um die 12 Meridiane der Traditionellen Chinesischen Medizin mit einzubeziehen, wollte er damit eine solidere Grundlage für die Shiatsubehandlung schaffen; indem er Erkenntnisse der modernen Physiologie und Psychologie mit den Behandlungsprinzipien der traditionellen Medizin verband. Er entwickelte ein System von Diagnose und Behandlung, das auf dem Auffinden der vorherrschenden Kyo/Jitsu Störung basiert, die sich durch die Meridiane zeigt. Diese Annäherung an einen mehr medizinischen Denkansatz (ganz gleich wie traditionell oder modern er sein mag) führt tendenziell jedoch weg von der ursprünglichen, ganzheitlichen Vorstellung von Heilung, die sich immer an die Einheit von Körper (Natur) und Geist (Mensch) wendet.
Im zeitgenössischen Shiatsu wird diese Tendenz unterstrichen durch die klare Unterteilung in Kyo und Jitsu-Meridiane und die Entwicklung von immer zahlreicheren, ausgefeilteren Behandlungstechniken. Häufig „ver“-folgen wir Kyo und Jitsu Meridiane im Körper, und obwohl wir vielleicht unser subtiles Gespür für Ki bewahrt haben, wird unsere Behandlung tendenziell doch immer physischer. Es ist unsere Einstellung, die sich verändert hat. Wir fangen an, uns Sorgen zu machen, ob wir das Richtige tun, ob unsere Einmischung richtig ist. Es ist schade, wenn wir durch diese Tendenz zum Analytischen, die von unserer modernen Kultur noch verstärkt wird, aus unserer Mitte geworfen werden und unsere Behandlungen dadurch belastet und verwirrt werden.
Natürlich gibt es auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin Zeiten, in denen es hilfreich und notwendig ist, sich mit spezifischen Krankheitsbildern und den genau darauf abgestimmten Therapien zu befassen. Wenn Yin und Yang stärker aus dem Gleichgewicht geraten, nehmen Krankheit – Gesundheit, Arzt – Patient, Diagnose – Therapie, Tonisierung – Sedierung ganz unterschiedliche Bedeutungen und Werte an. Parallel dazu existiert jedoch immer eine generelles Behandlungskonzept und die allem übergeordnete Vision des Gleichgewichtes von Yin und Yang. Beides kann uns wieder auf einen subtileren, ganzheitlichen Weg zur Gesundheit führen - und zu weniger „Tun“ in der Behandlung. Im Shiatsu sollte uns die Qualität unserer Berührung erlauben, sowohl der Situation als auch den Bedürfnissen des Klienten spontan zu folgen.
Kyo kann auch Wurzel oder Ursprung bedeuten, da schwingt eine Verbindung zur Lebensquelle/energie mit. Daher ist Kyo in der Körper Geist Seele immer als ewiger Nährboden aller noch nicht verwirklichten Möglichkeiten präsent. Wenn es dem Shiatsu-Praktiker gelingt, mit seinem Bewusstsein in diesem Boden verwurzelt zu sein, kann Sensibilität für die Bewegungen der Lebensenergie, den Atem oder das Ki entstehen. Das meint Kyo/Jitsu - das Entstehen eines gemeinsamen Bewusstseins im Einklang mit dem Empfangenden. Dieses Bewusstsein kann kultiviert werden, wir können es bewusster Entstehen lassen. Das ist das Herz der subtilen Medizin, identisch mit der Essenz des uralten chinesischen Daoyin und stellt die vollendetste Form der Behandlung dar.
In diesem Workshop werden wir auf den Spuren von Kyo und Jitsu wandeln
- durch praktische Übungen und Meditation
- von ihren rätselhaften Anfängen im Tao bis zu den spontanen Manifestationen von Ki
- wir werden Kyo/Jitsu fühlen und sehen, in uns und in anderen
- werden sie im Verhältnis zu unserem Atem, unserem Hara und den drei Körperregionen betrachten.
- wir werden sie im Hinblick auf die Meridianbefunde und Behandlungsmöglichkeiten betrachten sowie
- Masunagas Kyo/Jitsu-Reaktion und die Prinzipien des Zen Shiatsu, wie sie für gewöhnlich angewandt werden, untersuchen.
Wir werden feststellen, das es in der Traditionellen Chinesischen Medizin ein entsprechendes Model von „Ursache und Wirkung“ gibt, das uns ermöglicht, Behandlungsschwerpunkte zu setzen, das uns dabei jedoch gleichzeitig zurückführt zu der einfachen und schlichten Essenz des Daoyin – nämlich der Harmonie von Yin und Yang, die seit den frühesten Anfängen der Medizin den Menschen den Weg zur Heilung gewiesen hat und in der die Entwicklung von Ruhe und heiterer Gelassenheit das oberste Behandlungsprinzip darstellt.
Ich glaube, dass das Thema Kyo und Jitsu von ganz grundlegender Bedeutung für unsere Arbeit ist und freue mich, mit euch Ideen und Erfahrungen auszutauschen. Dieser Kurs richtet sich an fortgeschrittene Schüler / Oberstufe, Absolventinnen und Shiatsulehrerinnen.
Aus dem Englischen von Claudia Gerstmann
Das Fußgelenk: Anatomie und Shiatsu
06.12.2024
mit Ulrike Schmidt
Die Abschlussprüfung
30.11.2024
mit Ulrike Schmidt und Cornelia Ebel