Ein Interview mit dem Shiatsulehrer Walter Rademacher von Ulrike Schmidt
Lieber Walter,
obwohl Du in Berlin wohnst, konnte ich Dich nur schwer erreichen. Keine homepage, keine eMail, ja, noch nicht einmal eine Telefonnummer von Dir konnte ich finden. Erst über den Verlag, in dem Dein Buch "Shiatsu in der Praxis" erschienen ist, ist es mir gelungen, Kontakt zu Dir aufzunehmen. Es macht ein wenig den Eindruck, als ob Du gerne `unauffindbar´ bist und im Hintergrund arbeitest?
Mein Shiatsu-Alltag verläuft seit etwa dreißig Jahren praktisch ohne öffentliche Präsenz; für meine Patienten bin ich auffindbar. Außerdem benötigte die Zeit der Arbeit an meinem Buch und die Auswertung der vielen Fälle eine gewisse Zurückgezogenheit.
Du hast bereits vor über 30 Jahren `heimlich´ in Ostberlin und der damaligen DDR Shiatsuunterricht gegeben. Was war Dein Impuls, dies zu tun? Wie kam es zu den Kontakten?
Von `heimlich´ konnte keine Rede sein; ich habe über viele Jahre eine Shiatsu-Gruppe in der DDR geleitet und zwei Teilnehmer davon waren Stasi-Mitarbeiter. Seit 1970 bin ich regelmäßig, auch über mehrere Tage, in die DDR gefahren und habe dort wichtige Freundschaften meines Lebens geschlossen. Im Laufe der Zeit lernte ich vor allem Irena und Michael Kukutz, Bärbel Bohley, Katja Havemann, Ulrike Poppe (Anm.: alle Bürgerrechtler und Oppositionelle in der DDR; Mitglieder der Bürgerbewegung "Neues Forum"), kurz auch Wolf Biermann (Liedermacher, 1976 aus der DDR ausgebürgert) und Jürgen Fuchs (1977 ausgebürgert) und viele andere kennen. Der Austausch mit diesen Menschen war eine außerordentliche Erfahrung und ich hatte dann die Idee, ihnen Shiatsu nahe zu bringen. So unterrichtete ich regelmäßig einmal im Monat eine Shiatsu-Gruppe; zumeist in Kirchen, auch in der von Rainer Eppelmann (oppositioneller Pfarrer der DDR). Ich gab dann auch Workshops über das Wochenende nahe Magdeburg, Rostock oder in Dresden.
Beinahe amüsant kann man es nennen, dass die beiden Stasi-Mitarbeiter, nachdem sie von der Gruppe enttarnt worden waren, was lange genug gedauert hatte, inständig baten, in der Gruppe weiter mitmachen zu können; sie waren ein wenig abhängig vom Shiatsu geworden.
Ich habe so einige Menschen in der DDR behandelt und muss sagen, dass sich dabei für mich sehr spezifische energetische Muster gezeigt haben; dies werde ich vielleicht einmal in einem Buch beschreiben.
Später wurde ich sogar auf eine offizielle Tagung von DDR-Medizinern/Ärzten eingeladen, um ihnen das Shiatsu praktisch vorzustellen. Diese Ärzte waren gänzlich unprätentiös und versuchten sich ernsthaft und mit Freude an den Shiatsu-Techniken. Solche Offenheit im Umgang miteinander habe ich in der DDR häufig erlebt.
Also bist Du vermutlich der einzige Shiatsulehrer mit einer Stasiakte? Hast Du mal nachgeforscht?
Ja, natürlich habe ich eine Akte und diese auch eingesehen. Die Stasi war über meine Aktivitäten gut informiert, aber sie hat auch vieles nicht mitbekommen. Viele Stunden meines Lebens habe ich an der Grenze, bei kleinen oder größeren Überprüfungen und Verhören durch DDR-Organe, verbracht. Man hat mich immer korrekt behandelt und manchmal wurde im Grenzhaus sogar diskutiert und gar gelacht. Meine Belastung war gegenüber derjenigen meiner DDR-Freunde jedoch harmloser Natur; sie hatten im Umgang mit den Staatsorganen wenig zu lachen, teilweise war ihr Leben gefährdet. Im damaligen "Westen" interessierten sich letztlich wenige Menschen für die DDR-Realität. Der "Osten" hat mein Leben immens bereichert; neben der DDR habe ich vor allem auch Ungarn, Polen und die Sowjetunion bereist. Dadurch, dass die Akupunktur im Osten eine vertraute Medizin war, stellte das Shiatsu kein so fremdes Metier dar.
In der Sowjetunion, in Moskau, hatte ich 1980 eine Begegnung mit dem Schriftsteller Lew Kopelew*; seine Freunde waren u.a. Alexander Solschenizyn** und Andrei Sacharow***. Mit Solschenizyn hatte Kopelew zusammen in einer Gefängniszelle gesessen, inhaftiert für 10 Jahre unter Stalin. Kopelew war krank, wurde vom KGB bewacht und brauchte Medikamente, die wir ihm brachten. Dieser Mensch hat mich tief beeindruckt.
Wie war Dein Weg vom Deinem Herkunftsberuf zum Shiatsu?
Zum Shiatsu bin ich durch Suchen gekommen. Ich habe meine Berufstätigkeiten immer durch Suchen weiter entwickelt. Ich habe mehrere Berufe, eine Ausbildung als Kaufmann, Lehrer und als Diplom-Politologe, und war schon immer sehr interessiert am Politischen und Psychologischen. Auf meiner Suche bin ich dann 1980 nach New York gezogen und wollte dort eine Ausbildung in Reich´scher Therapie beginnen. Dazu war ich mehrmals auf Wilhelm Reichs Anwesen in Maine, habe mit der Herausgeberin seiner Werke, Mary Higgins, und mit dem Arzt, der die letzten Jahre mit Reich zusammen gearbeitet hat, Dr. Raphael, gesprochen. Bei Dr. Raphael wollte ich diese Ausbildung beginnen, doch daraus wurde nichts, er wollte sich nur noch um die Verwaltung der Hinterlassenschaft Reichs kümmern.
Schließlich erfuhr ich von Ohashis Institut in New York. Shiatsu begann mich zu interessieren, so machte ich mich auf die Suche nach dem Ki. Ohashi ist eine ungewöhnliche Person, ich habe die Begegnungen mit ihm immer genossen. Ohashis Kreativität und die New Yorker Dynamik hatten mich beflügelt; ich wollte durch einen möglichst direkten Einfluss auf Menschen deren Kreativität beflügeln; das Shiatsu schien mir als eine Möglichkeit dazu . Außerdem lockte mich die japanische Mentalität; später habe ich die Sprache auch gelernt. Zu jener Zeit war ich in Kontakt mit New Yorker Schriftstellern, wie z.B. George Quasha. Das Shiatsu schien mir durch die direkte Berührung eine Möglichkeit, kreative Potenziale bei jedem zu wecken. Eine New Yorker Freundin wollte mit Yoko Ono ein experimentelles, sehr körperorientiertes Theaterstück aufführen; der Tod von John Lennon hat damals alle zutiefst schockiert. Bei mir stellte sich eine tiefe Nachdenklichkeit darüber ein, wie man Kreativität, Freiheit und Schutz des Lebendigen zusammenbekommen kann.
Du hast eine neue Form von Shiatsu entwickelt, IdosShiatsu® - wie kam es dazu und wie würdest Du den Unterschied zum Zenshiatsu beschreiben?
Im Laufe der Berufsjahre wurde für mich deutlich, dass man einen Sinn für die konkrete diagnostische und energetische Gesamtgestalt eines Menschen entwickeln musste, wenn man über Anfangserfolge von Shiatsubehandlungen hinauskommen wollte. Die Gesamtgestalt chien mir wie ein energetischer Körper, welcher sich erst durch den Zusammenfluss sämtlicher diagnostischer Parameter hervor gestaltete. Man muss durch viele Behandlungen hindurch sämtliche energetischen Aspekte sorgfältig erfassen und dokumentieren und diese dann Schritt für Schritt zusammenschließen, vergleichsweise könnte man sagen, dass eine mehrschichtige Computertomografie Ähnliches ergibt: man kann den Körper in vielen Schichten betrachten und das geschulte Auge und Wissen muss daraus ein ganzes Bild machen. Auch im Shiatsu geht es um die Frage, wie die vielen Informationen zu einer energetischen Person zusammenzuschließen sind.
Ich habe diesen Gestaltungsprozess systematisch erforscht und überprüft. Das Erkennen einer Gesamtgestalt, die energetische Körperlichkeit, das Idos, ist das Fazit der vielen zusammengeschlossenen energetischen Ebenen. Wenn man diesen Zusammenschluss lesen und erfassen kann, erhält man Schlüsselverständnisse für die energetische Situation eines Menschen. Es kann dann erfasst werden, wie sich eine lebensbedingte Situation in der geistigen, in der psychischen oder in der körperlichen Dimension auswirkt und anzeigt oder umgekehrt, wie geistige, psychische oder körperliche Prozesse sich jeweils untereinander und auf lebensbedingte Situationen auswirken. Ein konkretes Beispiel: Ein Mensch hatte einen Verkehrsunfall und ist heftig gestürzt. Natürlich findet man sofort reale Spuren von Verletzungen am Körper, der Geist und die Psyche stehen unter Schock, d.h. auf allen Ebenen finden sich Spuren dieses Unfalls und jede Ebene drückt dies auf ihre Weise aus und wirkt auf die anderen Ebenen ein. So ist auch das energetische Gesamtgeflecht eines solchen Unfallopfers regelrecht deformiert und verzerrt. Solche deformierte Gesamtgestalt zeigt ihre energetischen Echos auf allen Ebenen, in den Leitbahnen und Punkten, und bleibt, je nach Schwere des Unfalls, zeitlich ziemlich genau berechenbar in dieser Deformation bestehen. Nach einer exakten Zeit lösen sich diese Deformationen zumeist selbsttätig wieder auf und es wäre ganz unsinnig, diesen Regulationsprozess des Ki durch Shiatsu-Behandlungen unnatürlich beschleunigen zu wollen. Da solche energetischen Verzerrungen am besten auf mehreren Ebenen behandelt werden sollten, müssen auch Gespräche darüber geführt werden. Die gezielte Gesprächsführung im IdosShiatsu® sorgt dafür, dass solche Gespräche durch die energetische Problematik strukturiert werden; dadurch setzt sich der Patient effizient mit seiner tatsächlichen Lage direkt auseinander.
Ein weiteres Beispiel: eine Patientin hatte Tage vor der Behandlung eine heftige Auseinandersetzung mit einem Partner gehabt; sie hatte davon nichts erwähnt. Die energetische Gestalt, das Idos, zeigte deutlich ein sehr erregtes und deformiertes Profil in spezieller Weise. Im Laufe der Behandlung erfragte ich meine Vermutung eines Streits; ich konnte der Patientin auch sagen, auf welcher Seite von ihr der Partner gesessen hatte.
Da sämtliche Lebensvorgänge eines Menschen ihre Prägung auf allen Ebenen dieser Person als Wirkungen und Entsprechungen hervorbringen, kann jeder beobachtbarer Aspekt einer Person der Ausgang einer Diagnose sein; man muss dabei die Vernetzungen und Zusammenhänge der Ebenen, wie z.B. Geist, Charakter, Psyche, Soma oder Seele, jeweils in deren Sprache und in der Übersetzung solcher Sprache auf die anderen Ebenen verstehen lernen. Gelingt dies, so kann verstanden werden, was genau für eine Person dieses oder jenes kyo oder jitsu bedeutet. Durch gezieltes Fragen erinnert der/die Patient/-in scheinbar bedeutungslose, nicht beachtete oder vergessene Vorgänge. Auf diese Weise entsteht in der behandelten Person ein direktes und momentanes Verständnis für die eigene Befindlichkeit; die Erfahrung davon erfasst die gedankliche und die zugleich erlebte Bedeutungssituation persönlicher Erfahrungen und Zustände. Erfasst der/die Shiatsu-Behandler/-in die energetische Gesamtgestalt und deren Bedeutung, dann kann die Behandlung gezielt darauf eingehen. Häufig versteht man so, dass bestimmte energetische Ungleichgewichte angesichts einer temporären Situation als normal zu betrachten sind und man vermeidet unnötige, ja schädliche Manipulationen und Korrekturversuche während der Behandlungen. Ein gezieltes Gespräch kann mit zu der notwendigen energetischen Balance führen.
Masunaga und sein Zenshiatsu haben das Shiatsu generell in solche, auch psychisch orientierte, Richtung gebracht; insofern ist das IdosShiatsu® eine konkrete Forschung in diese Richtung.
Du arbeitest als Heilpraktiker eng mit einer Arztpraxis zusammen. Bist Du spezialisiert auf Menschen mit schweren Erkrankungen?
Zu Beginn meiner Shiatsu-Tätigkeit konnte ich gleich mehrere Jahre in einer Arzt-Praxis arbeiten, dadurch kam ich zwangsläufig in Berührung mit manifesten Krankheitsbildern; dazu habe ich viele Jahre in einem Alkohol/Drogen-Entzugsprojekt mitgearbeitet. Es galt Wege zu finden, um diese Menschen zu unterstützen. Zudem konnte ich mich immer mit dem Arzt und den Therapeuten austauschen. Im Laufe der Zeit behandelte ich auch viele Menschen mit schweren Erkrankungen, von denen leider auch mehrere gestorben sind. So einige Male waren die Shiatsu-Behandlungen auch letzte Begleitungen. Von Beginn an stand in meinem Shiatsu die Arbeit am Patienten, gleich welche Problematik vorlag, im Mittelpunkt. Die Erfahrung, auch sehr kranken Menschen eine Hilfe geben zu können, ist eine motivierende. Zudem lernt man sehr schnell, seine Grenzen und das Misslingen kennen. Die Behandlung des einzelnen Menschen war mir immer das Wichtigste und obwohl ich auch viele Shiatsu-Kurse gern gegeben habe, habe ich doch vom Unterrichten immer wieder mal Abstand genommen, um mich auf die Behandlungen konzentrieren zu können. Wenn man zu viel unterrichtet, besteht die Gefahr, dass man das Shiatsu allzu glatt präsentiert. Wer möchte schon all die Ratlosigkeiten, die offen gebliebenen Fragen oder die Hilflosigkeiten einer Therapie als Ausbildungsthemen beigebracht bekommen?! In Shiatsu-Kreisen wird ja der frühe Krebstod Masunagas auch etwas ratlos betrachtet.
Gern habe ich kleine Gruppen, in Supervision, unterrichtet; man konnte intensiv an einem tatsächlichen Fall arbeiten und die Wirkungen der angewandten Techniken sofort und direkt überprüfen und in die Gruppenarbeit zurückfließen lassen. In solcher Arbeit ist es auch möglich, offene Fragen für eine Zeit der Reife einfach offen zu lassen; auch der/die geschulteste Shiatsu-Praktiker/-in weiß so manches Mal nicht mehr weiter.
Im Journal (64/2011) schreibst Du in einem Beitrag zum Thema Krebserkrankungen, dass Shiatsu eine Belastung für den Organismus sein kann. Das leuchtet mir insoweit ein, als dass ein kranker Mensch ja oft auch keinen Appetit auf Nahrung hat, also das System instinktiv Essen verweigert, um nicht zusätzlich Energie für die Verdauung und den Stoffwechsel zu benötigen. Shiatsu - als Nahrung betrachtet – kann zuviel sein, die angeregten Prozesse nicht integriert werden. Klienten sagen daher nach meiner Erfahrung oft ihrem Shiatsutermin ab, wenn sie krank sind. Aber Shiatsu als „Tortur“, wie Du es nennst? Ist das wirklich Deine Erfahrung?
Ja, eine Tortur kann es werden; natürlich habe ich dann die Behandlungen beendet. Bei schwer kranken Menschen weiß man oft nicht, wann eine positive Situation ins Gegenteil kippt. Das Kippen geschieht ja oft nicht in scharfer Grenze, sondern sukzessive. Für eine gewisse Zeit behandelt man also in einem Grenz-, einem Übergangsfeld der Reaktionen. In diesem Übergangsfeld können aber plötzlich und eruptiv körperliche Sensationen auftreten, die für denjenigen, der sie erlebt, sehr verstörend, ängstigend und körperlich äußerst unangenehm wirken. Dann kommen zu den körperlichen Reaktionen geistige und psychischen Dimensionen dazu. Es kann eine Gesamtenergetik auftreten, die vom Patienten nicht ertragen werden kann, schließlich spielt hier die Erfahrung des Todes auch eine Rolle, und von daher kann ein Weiterbehandeln eine Tortur sein. Wer einmal die Heftigkeit und die Mächtigkeit energetischer Entladungen erlebt hat, wird sehr achtsam.
Du spricht im Zusammenhang mit Sucht und Suchtsubstitution von Shiatsu. Ist es nicht verständlich und legitim, Shiatsubehandlungen statt Drogen zu `konsumieren´. Oder meinst Du einfach, dass jede Form von Abhängigkeiten kritisch zu sehen ist, auch die von körperlicher Berührung?
Da ich lange in der Suchttherapie gearbeitet habe, sehe ich das Feld der Abhängigkeiten als ein sehr weites und breites. In der Suchttherapie ist eine interessante Frage, ob man mit einem Stoff, mit einer Verhaltensweise oder mit einer Gewohnheit auch brechen kann, ohne dabei Schaden zu nehmen, ohne sofort wieder zur Gewohnheit zurückkehren zu müssen und ob man auch ohne bestimmte Stoffe oder Mittel positiv weiter leben kann. Jeder sollte von Zeit zu Zeit sämtliche seiner Lebensprozeduren einmal unter solcher Sicht überprüfen. Das Problem der Sucht ist nicht so sehr ein Stoff, sondern es sind existenzielle Gewohnheiten, die wie Zwangsmuster wirken. Das kann auch im Shiatsu so sein. Jeder sollte sich fragen, könnte es nicht auch ohne Shiatsu gehen, und dies auch ausprobieren. Ich kenne viele, viele Menschen, denen es ohne Shiatsu prima geht. Für mich ist Shiatsu etwas Großartiges; wahrscheinlich bin ich abhängig.
Früherkennung von Krebserkrankungen – geht das mit Shiatsu? Brauchen wir da nicht mehr diagnostische Mittel der TCM, wie z.B. die Zungen- und Pulsdiagnostik?
Wie ich in meinem Buch darstelle, brauchen wir natürlich alle Mittel der energetischen Diagnostik; da hat das Shiatsu mittlerweile viele Parameter entwickelt und durch die TCM liegen viele diagnostische Möglichkeiten vor; ohne die TCM ist das Zenshiatsu Masunagas nicht zu denken. Aber, es ist notwendig, einen diagnostischen Verdacht mit den Mitteln der modernen Medizin zu verifizieren. Wenn der Shiatsu-Behandler sehr geschult ist und Erfahrung mit Krebspatienten hat, dann erscheinen deutliche diagnostische Parameter, die auf Krebs hindeuten, während der Behandlungen. Der Shiatsu-Behandler kann, je nach seiner Qualifikation, durchaus zu einer schlüssigen Hypothese kommen, aber er kann in der Regel die konkrete Form der Erkrankung nicht beweisen und in Augenschein nehmen; er muss sich auf die modernen medizinischen Methoden stützen. Jeder noch so erfahrene Shiatsu-Behandler sollte daher seine Vermutungen in sich selbst oder in Fachkreisen sehr selbstkritisch überprüfen und den Patienten zu einer Untersuchung raten; aber er sollte sich hüten, seine begründete Vermutung wie eine Tatsache, etwa auch gegenüber dem Patienten, zu äußern. Von daher sollte der/die Shiatsu-Behandler/-in auch im Sinne der modernen Medizin ausgebildet sein, um die vielen diagnostischen Informationen, die Patienten in der Regel durch Untersuchungen vielfach mitbringen, auch lesen und verstehen zu können.
Die Mehrzahl der ShiatsupraktikerInnen in Deutschland arbeitet im Bereich der Gesundheitsvorsorge, also ohne Heilerlaubnis. Wie ist Deine Vision von Shiatsu in Deutschland?
eine Vision wäre, dass unendlich viele Menschen Shiatsu praktizieren können und sich gegenseitig behandeln würden oder es eben lassen, aber dennoch etwas vom Shiatsu-Geist in sich haben. Wenn man gezielt im Gesundheitswesen arbeitet, muss man wissen, was man will. Will man manifeste Erkrankungen behandeln, mit kranken Menschen arbeiten, dann sollte man eine Heilerlaubnis haben. Man benötigt dringend medizinische Kenntnisse und den Erwerb solcher Kenntnisse muss man in einen gesellschaftlichen Kontext und Standard stellen. Auch die Disziplin Shiatsu muss sich an einem wissenschaftlichen und öffentlichen Standard messen. Von daher sollten Shiatsu-Praktiker/-innen nicht nur eine Heilerlaubnis besitzen, sondern daran mitarbeiten, dass das Shiatsu als praktische und theoretische Medizin ein konkretes, überprüfbares Format erhält. Dazu müssen die Behandlungen exakt und umfassend dokumentiert und anschließend nach Bezugs- und Vergleichskriterien ausgewertet werden; es sollte im Shiatsu, vergleichbar der ärztlichen Ausbildung, eine Art energetisches Klinikum, eine energetische Klinik geben.
Man muss behandeln, lehren, forschen und sich in den Kontext der gesellschaftlichen Medizin stellen. Dazu kann das Shiatsu durch seine Nähe zu den Patienten/-innen etwas in die Medizin bringen, welches von diesen oft vermisst wird.
Walter, vielen Dank für das Interview!
* Lew Kopelew, Schriftssteller und Dozent, Systemkritiker, 1981 aus der UDSSR ausgebürgert
** Alexander Solschenizyn, Schriftsteller, ab 1945 acht Jahre Haft im Arbeitslager, danach Verbannung, Literaturnobelpreis 1970, 1974 aus der UDSSR ausgewiesen
***Andrei Sacharow, Physiker, Systemkritiker und Menschenrechtler, Friedensnobelpreis 1975, 1980-86 Verbannung nach Gorki
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