„Wir wissen nicht, was zuerst kommt, der nächste Morgen oder der Tod.“ *
Ein Interview mit Ursula Pellio von Ulrike Schmidt
Liebe Ursula, wie bist Du dazu gekommen, Sterbende mit Shiatsu zu begleiten?
Erstmal vielen Dank an Dich, dass Du dem Thema Raum gibst.
Das Hospiz war gegenüber von meiner Praxis und ich bin täglich daran vorbei gegangen, habe zu den Fenstern hoch geschaut. Immer wieder war ich davon berührt, von der fremden Welt. Eines Tages habe ich einfach geklingelt, mich vorgestellt und zunächst für eine Stunde die Woche meine Mitarbeit angeboten.
Inwieweit müssen wir bei der Begleitung Sterbender von unseren klassischem Shiatsu loslassen?
Hier ist reine Präsenz gefragt. Unsere Befunde, die manchmal wie ein Geländer im Shiatsu sind, das uns in unserem Nichtwissen Halt gibt, sind hier überflüssig.
Die meisten von uns beschleicht ein merkwürdiges Gefühl, wenn es ans Sterben geht. Was steht dahinter?
Wir werden an unsere eigenen Vergänglichkeit und Begrenztheit erinnert. Wir stehen doch noch scheinbar mitten im Leben, haben noch so viel vor, Pläne, Projekt..., dies und das. Wenn jemand geht, ist für einen Moment die Welt still, Nichtwissen....
Was passiert - energetisch gesehen - wenn wir sterben?
Es wird gesagt, dass es eine große Transformation ist, dass wir Einswerden, zur Quelle gehen, ins Mutterland. Es gibt viele Bilder aus unterschiedlichen Kulturen dazu. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht.
Sterbebegleitung - muss ich da nicht erstmal völlig in mir ruhen, um jemand in dieser Phase unterstützen zu können?
Wir sind alle AnfängerInnen auf diesem Weg. Ich habe am meisten von den Gästen im Hospiz gelernt, die ich begleiten durfte. Sie lehrten mich, zur Ruhe zu kommen, zu sehen, dass das Leben heute so und morgen ganz anders ist, das Da-Sein. Und ich bin sehr dankbar, dass die HospizmitarbeiterInnen mich manchmal buchstäblich an der Hand genommen und mitgenommen haben. Wir gehen den Weg als BegleiterInnen ja nicht alleine.
Wohin mit all den Tränen, der Traurigkeit, der Hilflosigkeit?
Dianne Connelly hat mich in einer Phase, in der ich wirklich sehr traurig war, mal bei den Schultern gefasst und gesagt: „Ursula, geh aus dem Drama raus! Manches im Leben haben wir zu tragen, da werden wir nicht gefragt, ob uns das gefällt.“ Die Tränen, die Trauer und die Hilflosigkeit gehören dazu. Aber gerade diese Arbeit ist für mich auch so bereichernd, manchmal beglückend, eben das ganze Spektrum des Lebens.
Sind meine Emotionen - gerade bei eng vertrauten Menschen - nicht eher hinderlich für den Sterbenden?
Meine Erfahrung ist es, dass meine Emotionen auch Wege waren, mit dem Schwerkranken in Kontakt zu kommen. Manchmal konnten wir nicht über das sprechen, was uns bewegte, weil die Kehle zugeschnürt war. Wir Shiatsukas haben ja Gott sei dank unsere Hände, die uns dennoch sprechen lassen, wenn Worte keinen Weg mehr finden.
Wie groß ist die Gefahr, dass wir uns am Sterbebett verstellen, eine bestimmte Rolle einzunehmen versuchen - weil wir meist nur aus Film und Fernsehen Vorbilderkennen...
Wir sind wie wir sind. Wir sind Lernende. Wenn wir diese Vorbilder aus Film und Fernsehen haben, dann ist es so. Ich sehe eine Möglichkeit, dass wir das Sterben wieder in unser Leben integrieren, dann können wir den Abschied bewusst wahrnehmen, beieinander sein, miteinander traurig sein, uns erinnern und stärken.
... und was tröstet wirklich?
Ich weiß es nicht.
Wie geht es "das Leben feiern bis zuletzt"?
Natürlich bleiben, tun was zu tun ist. Und wenn es – wie ich gerade erleben durfte – zwei Tage vor dem Sterbetag der Geburtstag zu ist, den auch zu feiern. JETZT. Noch einmal möchte ich Dianne zitieren: „Wir wissen nicht, was zuerst kommt, der nächste Morgen oder der Tod.“ Und damit meinte sie auch unseren Tod.
Was ist die Essenz Deiner Erfahrung mit Sterbenden?
Dankbarkeit.
Sterben ist ein großes Ausatmen.
Wir gehen wieder in die Einheit, ins TAO.
So sind wir alle verbunden.
(*Dianne Connelly)
Liebe Ursula, vielen Dank für das Interview!
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