zum Thema "Technik und Shiatsu" von ...Ulrike Schmidt!
Liebe Ulrike, Du interviewst Dich gerade selbst - ist das nicht ein bisschen anmaßend? Wie soll das gehen?
Nun, sind wir nicht ständig mit uns selbst im Gespräch? Immer im Abwägen - Für und Wider, Hin und Her? Von daher denke ich, gibt es reichlich Gesprächsstoff mit mir selbst. Ein Interview im wahren Sinne des Wortes!
Also gut, dann los. Du bietest für ein Wochenende Shiatsu-Technik am Schillersee an. Heutzutage gibt´s tolle Shiatsubücher, die sind voll mit Techniken, dazu Filmmaterial, zusätzlich machen SchülerInnen in der Regel mehr Aufzeichnungen und Fotodokumentationen vom Unterricht, als sie später umsetzen. Meinst Du wirklich, es braucht noch mehr Techniken?
Nein, mehr Techniken braucht es sicherlich nicht. Jede/r halbwegs ausgebildete Shiatsu-praktiker/in hat in der Tat mehr als genug davon im Repertoire. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass es darauf ankommt, wie Techniken ausgeführt werden. Hara, Präsenz und ein Phänomen, das ich „Individualisierung von Techniken" nenne, haben dabei besondere Bedeutung. Wer Techniken einfach `nachmacht´, ist noch nicht beim Kern vom Shiatsu angelangt. Weniger ist auch hier mehr.
Du sagst im Unterricht gerne den Satz: beim Shiatsu kommt es nicht darauf an, als erster fertig zu werden, sondern im Moment präsent zu sein.
Ja, ein sinniger Satz. Er beinhaltet unsere Prägungen in der so genannten Leistungsgesellschaft mit den bekannten belohnungsorientierten Mechanismen.
Fast überall ist „schnell" gleichbedeutend mit „gut". Wer schnell sein will im Shiatsu, ist aber schon wieder woanders. Oder, anders formuliert, ein Woanders, sei es beim nächsten Meridian oder bei der nächsten Technik, erscheint dann oft interessanter, als der jeweilige Moment. Das ist im Grunde kontraproduktiv für unser Shiatsu. Shiatsu lebt von dem wahrhaftigen und bewussten Kontakt im Moment.
Gibt es überhaupt „richtige Techniken"? Die Tendenz von all denjenigen, die mehrere Jahrzehnte Shiatsu ausüben, geht dahin, in der Behandlungssituation einfach da zu sein. Nicht mehr. Nicht weniger. Wozu also noch Techniken und Meridiane lernen und lehren?
Die Bedeutung des reinen DA-SEINs im Shiatsu nimmt mit fortschreitender Praxis eindeutig zu. Dies ist ebenso die Erfahrung von meinen Lehrer/innenkollegen, wie auch ich selbst eine Veränderung von meinem Shiatsu erlebe. Nicht mehr alles, was wir an unserer Schule gemäß unseres Curriculums unterrichten, praktiziere ich selbst. Wenn man so will, besteht meine größte Lernerfahrung im Shiatsu im „Weniger-Tun". Der Daoismus hat den schönen Ausdruck des „Wu Wei" geprägt. Meine liebste Übersetzung ist „Tun durch nichts tun - und dennoch bleibt nichts ungetan". Wie in jedem Beruf halte ich es jedoch auch im Shiatsu für existentiell, einen reichen Fundus an Wissen und Erfahrung im Hintergrund zu haben. Irgendwann kumuliert das dann zu Weisheit: gelebtes Wissen!
Du meinst, Du bist schon so weit?
Oh, nein! Mir fällt dazu die Aussage einer Schülerin ein, die vor einigen Jahren zu mir meinte, in zwanzig Jahren sei ich eine gute Lehrerin, in vierzig eine weise Lehrerin. Damals war ich so um die Vierzig und fand es irgendwie anmaßend und respektlos von der Frau, derartig direkt zu mir zu sein. Allerdings merkte ich dann auch, dass es nicht als Kritik an meinem Unterricht gemeint war, sondern eher als eine Art lobende Vision. Heute mag ich die Vorstellung sehr, mit achtzig eine weise alte Shiatsudame zu sein.
Du unterrichtet seit zwanzig Jahren Shiatsu. Was hat sich an Deinem Unterricht am meisten verändert?
In meinem ersten Shiatsukurs habe ich an einem Wochenende sechs Meridiane unterrichtet. Heute `brauche´ ich dafür dreimal so lange. Mindestens! Ich hatte früher schrecklich Angst vor Fragen von den Schülern. Ich wollte nicht, dass sie entdeckten, dass ich im Grunde gar nichts wusste. Also habe ich sie mit Meridianen gequält, das ging gleich ziemlich zackig los. Heute ist mir die Interaktion sehr wichtig. Wenn ich im Kontakt mit der Gruppe und den Einzelnen bin, kann im Grunde nichts mehr schief laufen. Fragen sind spannend, anregend, erhellend. Und im Übrigen weiß ich, dass ich nicht alles wissen muss.
Und wenn Du keine Antwort weißt, spielt Du schon mal den Ball zurück und sagt: "Oh, interessantes Thema für eine Abschlussarbeit..."
Stimmt. Es gibt so viele Fragestellungen, über die es nichts Gedrucktes gibt: Gibt es die sieben Schichten eines Tsubos wirklich? Entsteht ein Tsubo vielleicht erst in dem Moment, wo ich im Kontakt mit dem Menschen bin? Wie ist das nun wirklich mit bestimmten Meridianverläufen nach Masunaga? Sich über Monate hinweg mit einem Thema zu beschäftigen, ist für die eigene Shiatsu-Entwicklung sehr wertvoll. Bei uns an der Schule ist das Voraussetzung. Und hier beobachte ich oft folgendes bei den SchülerInnen: erst Widerstand, Ablehnung oder Qual, später dann Wachstum, Erhellung und Dankbarkeit für das Erlebte durch diese Reibung und Auseinandersetzung mit einem Thema.
Machst Du überhaupt etwas anderes, als einen Raum und Rahmen anbieten, indem jemand sich selbst neu erfahren kann?
Nein, absolut nicht. Das ist gut auf den Punkt gebracht. Und es trifft die Behandlungssituation genauso wie das Unterrichtsgeschehen. Ein bekannter Reiseveranstalter hat einen Slogan entwickelt, der genau so für´s Shiatsu passen würde: „Die Welt und sich selbst erleben". Unsere Bedürfnisse, uns lebendig zu fühlen, uns zu entwickeln und uns als Individuen wahrzunehmen sind sehr stark. Shiatsu kann da eine passende und stimmige Strategie zur Erfüllung sein.
Man munkelt, Du hast noch andere Interessen außer Shiatsu?
Ja, in der Tat. Ich bin ja nicht definiert durch meine verschiedenen Funktionen, sondern erschaffe mich auch ständig neu. Momentan bin ich begeisterte Seglerin, kreative Papierkünstlerin und liebende Katzenmama. Gerade der Kater, der mir im letzten August zugelaufen ist, lehrt mich viel, geradezu zen-mäßig: Präsenz, Loslassen und den Moment genießen. Zenmeister nehmen eben oft ungewöhnliche Erscheinungsformen an!
Liebe Ulrike, vielen Dank für die Innen-Schau!
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