Von der Berufung zum Beruf - die stille Revolution

Shiatsu-Strömungen und Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte
von Ulrike Schmidt (2012).
Erschienen in der Jübiläumsausgabe des Shiatsu-Journals, 2012


Liebe Leser und Leserinnen!

Kurz, es war so: damals hat sich niemand einen Kopf gemacht über Shiatsu als Beruf. Dann kam die Phase der großen Verunsicherung, darf man das eigentlich? Und: wer darf das? Jetzt ist seit einigen Jahren klar definiert: Hmm, man darf.
Wir, als Shiatsugesellschaft, haben ein Modell entwickelt, in dem Shiatsu in verschiedenen Anwendungsfeldern praktiziert werden kann. Und nur wer heilen, lindern und vorbeugen möchte, braucht dafür eine Befugnis als Arzt oder Heilpraktiker. Punktum. Damit ist mein Beitrag zum Thema "Berufsbildentwicklung Shiatsu" an sich erschöpft. Weiteres lässt sich doch besser nachlesen und anschaulich erblättern in der von uns entwickelten GSD-Berufsbildbroschüre, die in der Geschäftsstelle erhältlich ist.

Dennoch möchte ich einige Betrachtungen anführen zu dem Thema Shiatsu als Beruf.
Als ich, 25-jährig mit Shiatsu begann, hatte ich bereits ein abgeschlossenes Studium hinter mir und übte einen Beruf aus, einen Herkunftsberuf, wie das heute genannt wird, oder auch: einen Erstberuf. Mit der Teilnahme an Shiatsukursen hatte ich keinerlei perspektivische Absicht verbunden, kein Ziel, schon überhaupt gar nicht, meinem Beamtenberuf einzutauschen gegen einen Shiatsuberuf. Das war ein Hobby, ähnlich wie Töpfern an der VHS, allenfalls Feierabendbeschäftigung, ab und zu Wochenendprogramm. Es machte Spaß, ich gab FreundInnen Shiatsu, ja, ich war noch nicht einmal Shiatsu-Amateur. Ich war einfach am Ausprobieren, am Erforschen, am Entdecken. Das Shiatsu für mich dann etwas ganz anderes wurde, das ist das dem Shiatsu innewohnende Geheimnis…!

Die Zeiten, wo Menschen nur einen einzigen Beruf erlernt haben, und ihn dann ohne Fort- und Weiterbildungen bis zur Rente ausgeübt haben, sind vorbei. Ein Schuster vor 150 Jahren und einer von vor 100 Jahren, das dürfte kaum ein großer Unterschied gewesen sein. Leder, Werkzeug und Kunden, all das bleib ziemlich konstant, eventuell längerfristigen Modezyklen unterworfen. Ein Schuster heute und vor einem halben Jahrhundert - definitiv zwei Welten: ein Vielzahl von künstlichen Materialien kam dazu, neue Farben und Schnitte, neue Computer- und Fertigungstechniken, ganze Fabrikstrassen. Früher wurde man Geselle, dann, mit Talent und Glück Meister. Ab da kam meist einzig Erfahrung dazu, das kostbares Gut. Erfahrung macht den Meister. Heute ist nie Schluss mit Lernen und Weiterbilden, mit Qualifizieren und Umorientieren, damit, eigene Potenziale und Möglichkeiten noch weiter auszuschöpfen. Egal ob Handwerker, Sachbearbeiter oder Unternehmer. Das erinnert mich an eine andere Redewendung Lernen ist wie schwimmen gegen den Strom - sobald man aufhört, treibt man zurück. Bereits in der Schulzeit wird ja stärker als je zuvor an der eigenen Vita gebastelt - wie modern und top ist doch heute ein Auslandsaufenthalt geworden, als Schüler, spätestens als Studentin. Must be: Südamerika, Australien oder mindestens USA.
Was sich ebenso verändert hat: selten treten Kinder noch in die Fußstapfen der Eltern. Beruf ist auch Zufall geworden, wo ist noch in meiner Nähe ein Ausbildungsplatz frei, welchen Studienplatz kann ich mit meinem Numerus Clausus überhaupt noch bekommen, was schlägt mir die Jöbbörse vor!? Ja, wir haben mehr, viele tausende Möglichkeiten - auch gerade heutzutage wir Frauen. Und doch quälend das sich Zurechtfinden, die Konkurrenz, der Druck.

Shiatsu. Was ist das, was kann es sein für uns: Beruf, Job, Hobby oder Arbeit? Ehrenamt, Leidenschaft oder Profession …? Wo sind die Grenzen und wer definiert das überhaupt?
Dazu einige treffende Definitionen.


Unter dem Beruf versteht man diejenige institutionalisierte Tätigkeit, die ein Mensch für finanzielle oder herkömmliche Gegenleistungen oder im Dienste Dritter regelmäßig erbringt, bzw. für die er ausgebildet, erzogen oder berufen ist.

Eine interne Arbeitsgruppe der deutschen Bundesagentur für Arbeit zur Vorbereitung einer neuen Klassifikation der Berufe 2010 hat eine Definition entwickelt, nach der ein Beruf ein Bündel von Tätigkeiten ist, die fachspezifische Kenntnisse und Fertigkeiten erfordern.

Beispielhaft für eine allgemein gültige Definition des Berufs kann der dem Grundrecht der Berufsfreiheit des deutschen Grundgesetzes (Art. 12 Abs. 1 GG) zugrunde liegende Berufsbegriff dienen: Ein Beruf ist danach eine auf Dauer angelegte Erwerbstätigkeit, die zur Sicherung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient. Der Begriff des Berufs ist dabei nicht auf bestimmte traditionelle oder rechtlich fixierte Berufsbilder beschränkt, sondern umfasst jede frei gewählte Form der (erlaubten) Erwerbstätigkeit und ist daher für die Entwicklung neuer Berufsbilder offen.

Wikipedia, Zugriff 2.1.12


Ein Job ist eher eine vorübergehende Tätigkeit, ohne großes Herzblut. Ein Amateur kann meist (noch) nicht von seiner Tätigkeit existieren. Ein Ehrenämtler schon gar nicht, dafür ist ja die "Ehre" die Entlohnung. Arbeit ist meist etwas, was uns Kraft raubt und eben nicht dem Zuwachs von Energie dient. Berufung, ja, da sollten wir in unserer Kraft sein. Und glücklich diejenigen unter uns, die schon ihren Genius entdeckt haben, ihre Schicksalsaufgabe - wofür ich einzigartig in dieser Welt bin! Hobby ist natürlich erstmal privat, Beschäftigung, Spaß und kann sich aber auch hin entwickeln zu einem Beruf. Steuerlich sind übrigens nahezu alle diejenigen Tätigkeiten, die mit der Absicht Einnahmen zu erzielen ausgeführt werden, steuerpflichtig. Dabei ist es egal, ob legal oder nicht (auch ein Hehler oder Erpresser ist dem Wesen nach steuerpflichtig). Dem Finanzamt ist es egal ob irgendjemand dafür (schon) einen Beruf definiert hat oder nicht. Da gilt eher: ein Beruf definiert sich selbst. Es reicht völlig, wenn "mein Beruf" ganz und gar einmalig ist. Also schon lange bevor Ausbildungsordnungen und Qualitätsmerkmale existieren.

Die, die wir damals in den Siebzigern, Achtzigern und Neunzigern mit Shiatsu begannen, fast alle hatten wir einen Beruf. Wir waren Krankenschwestern, Physiotherapeuten, Beamte, Heilpraktiker, Taxifahrer, Hausfrauen, Architekten, und, und, und…
Heute hat sich sich die Situation verändert. Vereinzelt kommen junge Menschen an die Shiatsuschulen, um Shiatsu als ihren ersten Beruf zu erlernen! Und das ist die eigentliche, die stille Revolution, die in den letzten Jahrzehnten ereignet hat.
Die Attraktivität ShiatsuPraktikerIn GSD-anerkannt zu werden hält sich allerdings in Grenzen. Ein Grund und gleichzeitig die Tragik liegt sicherlich darin, dass die wenigsten AbsolventInnen einer GSD-anerkannten Schule von den Einnahmen aus ihrer Shiatsupraxis auch ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Der Suchtfaktor Shiatsu überkommt viele Menschen oft überraschend. Nämlich schon, bevor sie sich überhaupt Unzufriedenheit eingestehen. Bevor sie spüren, dass sie ja eigentlich unter ihren Lebensumständen leiden. Und bevor sie überhaupt wissen, was sie wirklich wollen. Plötzlich Shiatsu. Tiefer, wahrhaftiger Kontakt mir dem eigenen Sein, sich nicht mehr verschließen können, anerkennen, das, was ist nicht stimmig ist. Ein sanftes Ahnen, ein freundliches Ziehen, ja, ein innerer Aufruf. Anhalten, Innehalten, Mut haben. Auch: Aussteigen, zurückschauen, weiter gehen. Scheinharmonien aufbrechen, Entwicklungen anstossen, Türen schliessen und Fenster öffnen. Ken Wilber hat Unzufriedenheit einmal definiert, als eine körpereigene Intelligenz. Auch das ist eine Revolution, Unzufriedenheit anzuerkennen, ja, zu begrüßen. Nämlich als Initialzündung und als Entwicklungsschub. Als Chance und als Versprechen. Als Verlockung und als Möglichkeit. Das ist der Stoff, aus dem Shiatsu gemacht ist.

In diesem Sinne schaue ich gespannt auf die nächsten zwanzig Jahre Entwicklung im Shiatsu. Beruf hin oder her…

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