Peter Itin: Das begleitende Gespräch bei Trauma-Klientinnen

 

Peter Itin: Das begleitende Gespräch bei Trauma-Klientinnen

(Auszug aus dem Manuskript „Shiatsu als Therapie", Buch erscheint 2007)

Oftmals ist sich eine Klientin früher Traumata nicht bewusst. Aufgrund ihrer unangemessenen Verhaltensweisen und rigider Muster vermuten wir jedoch einen entsprechenden Hintergrund. Es kann auch sein, dass die Klientin sich früh erfahrener Traumata bewusst ist, diese jedoch der Shiatsu-Therapeutin gegenüber nicht anspricht, sei dies aus Scham, oder weil sie den Bezug zu ihrer Situation verdrängt.

Es gilt, mit solchen Situationen sehr subtil umzugehen. Der Weg führt am besten über Fragen. Gibt es besonders belastende Gefühle und Situationen im Leben? Kehren diese regelmässig wieder? Seit wann ist es so? Welche Beziehungen zwischen Symptomen und Ereignissen werden gesehen? Man kann der Klientin das Gespräch als ein offenes Gefäss anbieten, das zu Selbstwahrnehmung und Selbsterkenntnis hinführt und ihre Resilienz unterstützt. Daraus kann sich möglicherweise auch die Erkenntnis entwickeln, dass eine Psychotherapie oder Traumatherapie hilfreich sein könnte.

Es gibt Klientinnen, die den Zusammenhang zwischen ihren Problemen und Trauma klar sehen und gerade deshalb ins Shiatsu kommen. Gewisse sind gleichzeitig in eine Psychoanalyse, Psychotherapie oder Traumatherapie, andere nicht. Dies gilt es im Erstgespräch zu klären. Sie suchen primär eine Unterstützung durch energetische Körperarbeit, nicht durch das Gespräch. Dennoch ist das Gespräch ein unabdingbarer Bestandteil jeder therapeutischen Begegnung und kann nutzbringend ergänzend zur Behandlung eingesetzt werden.

Die Gesprächsführung bei Trauma orientiert sich an zwei Hauptzielsetzungen

  • Vermeiden von Überwältigung (Ohnmachtsgefühlen usw.)

  • Aufbau von Stabilität und Ressourcen.

Vor jeder Behandlung ist zunächst die seelische und emotionale Stabilität der Klientin zu prüfen. Wir müssen ein Gespür dafür entwickeln, in welchem Rahmen wir uns bewegen können, was die Klientin emotional halten kann.

Es ist nicht empfehlenswert, dass man über die traumatischen Ereignisse spricht. Es ist jedoch gut, wenn man weiss, dass Traumata vorliegen. Es reicht vollkommen aus, „die Kapitelüberschriften" des Buchs zu kennen, man benötigt nicht die Inhalte der Geschichte selbst. Oftmals hat die Klientin selbst das Bedürfnis, alles zu erzählen und einen sogar förmlich zu überfluten. Hier sind klare Grenzen im Eigeninteresse beider Seiten zu setzen. Zuviel und immer wieder über Trauma-Erlebnisse zu sprechen hat auf die KlientInnen erfahrungsgemäss eine retraumatisierende Wirkung, da Gefühle wie panischer Angst und Ausgeliefertsein wieder aktiviert und zementiert, neuronal stabilisiert werden. Nur mit professioneller Traumatherapie gelingt es, dem Teufelskreis des Traumas zu entrinnen.

Die Klientin muss lernen, sich der Sogwirkung des Traumavortex zu entziehen, und Kompetenz entwickeln, sich mit dem Thema bewusst aber dosiert beschäftigen zu können. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist, rechtzeitig zu erkennen, wann die Sogwirkung sich zu entfalten beginnt, und zu lernen, rechtzeitig „auszusteigen". Aussteigen heisst, wieder zu den Resilienzfaktoren zurückzufinden. Die Bedeutung der Fähigkeit, sich von den Gefühlen möglichst nicht überschwemmen zu lassen und wieder zur eigenen, inneren Kraft zurückzufinden, muss den KlientInnen bewusst gemacht. Es braucht eine explizite Übereinkunft, dass die Rolle der Therapeutin darin besteht, immer wieder zum Gesunden, stärkenden und nährenden hinzulenken. Dieses Pendeln muss explizit und auf eine sehr subtile Art geschehen, um zu vermeiden, dass zwischen Klientin und Therapeutin ein „Gezerre" entsteht, dass sich die Klientin nicht verstanden fühlt, weil die Therapeutin von ihrem Leid immer wieder ablenkt. Fragen können negative Stimmungen und Gefühle umlenken. Es sind Fragen wie: Was würde helfen? Was würde im Moment gut tun, eine Erleichterung bringen?.

Es ist wichtig, dass KlientInnen und TherapeutInnen nicht nur das Beschädigte wahrnehmen, sondern die Kraft wertschätzen, die es der Person ermöglicht hat, unter schlimmen Bedingungen weiter zu leben, eine gute Mutter zu sein usw.

Das Aufbauen von Ressourcen und das Entwickeln stabilisierender Einstellungen und Muster ist harte Arbeit. Es muss mit Willen und Beharrlichkeit verfolgt werden. Ohne Bereitschaft und Motivation seitens der Klientin führt jede Bemühung der Therapeutin ins Leere und endet in Frustration.

Shiatsu-TherapeutInnen können traumatisierte KlientInnen im Gespräch darin unterstützen, ihre seelische Kräfte zu erkennen und Stabilität zu entwickeln. Das Ziel besteht darin, dass KlientInnen Wahlmöglichkeiten im Leben erkennen und zu ergreifen beginnen.

  • Der erste Schritt dazu besteht darin, den Geist nicht rasen zu lassen sondern im Hier und Jetzt halten. Ich fordere sie auf, Handlungen möglichst achtsam zu tun, beim Gehen auf den Kontakt mit der Erde zu achten und in die Füsse hineinzuspüren, um die Selbstwahrnehmung zu entwickeln.

  • Der zweite Schritt besteht in der Selbstbeobachtung, im liebevollen und nachsichtigen Wahrnehmen der eigenen Reaktionsmuster, Einstellungen und Verhaltensweisen.

  • Der dritte Schritt besteht darin, eigenen Stärken und „nährende" Ressourcen zu erkennen und bewusster zu pflegen und zu nutzen.

  • Der vierte Schritt besteht darin, Handlungsalternativen und ihre Wirkungen zu visualisieren.

  • Der fünfte Schritt besteht darin, kleine „Übungsfelder" (z.B. zum Thema „Grenzen setzen") bewusst zu nutzen, selbstbestimmt kleine Erfolgserlebnisse zu suchen, die eigenen Grenzen und Handlungsspielräume zu erweitern (nicht gleich den Ehepartner als Übungsfeld nehmen, wenn die Beziehung schwierig ist).

Falls die Klientin sich gleichzeitig in einer Psycho- oder Traumatherapie befindet, sollten wir uns nach Möglichkeit mit der entsprechenden Fachperson absprechen, inwieweit wir ihre Arbeit unterstützen können. Insbesondere sollten wir nichts tun, dass deren Konzept zuwiderläuft. Zudem sollten wir vermeiden, mit zusätzliche Ideen und Übungen die Klientin zu „überfrachten".

Wir können den Klientin helfen, ihre inneren und äusseren Ressourcen zu erkennen, aufzubauen, auszubauen und zu stabilisieren. Wir lenken sie durch Fragen und Impulse beispielsweise zu folgenden Möglichkeiten hin:

  • Unterstützende Beziehungen suchen, wertschätzen, pflegen, nutzen.

  • Freudvolle Aktivitäten unternehmen (Bewegung in der freien Natur, Musizieren, mit anderen Menschen zusammen sein, gut Kochen und bewusst Essen, emotional nährende Bücher lesen, Kontakt mit Tieren usw.)

  • Ein „Tagebuch der Freude" führen. Ziel ist ein Eintrag pro Tag, um die Aufmerksamkeit von den Problemen auf das auch existierende Erfreuliche zu lenken, um einen wachsenden Beweis von Positivem zu führen, und um Ressourcen zu entdecken.

  • Eine Liste der eigenen Stärken erstellen

  • Kleine Erfolgserlebnisse bewusst suchen und herstellen.

  • Gleichgewichts-Übungen, Tai Chi, Yoga, Atemübungen und on Meditation (um die verlorene Kontrolle und innere Stabilität wieder zu gewinnen).

Positive Gefühle wie Zufriedenheit, Dankbarkeit, Freude, Vertrauen sind wichtig. Sie sind bewusst herbeizuführen, zu erkennen und wertzuschätzen (z.B. Essen mit Kerze, Visualisieren von freudigen Ereignissen). Das Selbstwertgefühl und der liebevolle Umgang mit sich selbst müssen wieder aufgebaut werden. Letztlich ist es die Einstellung im Kopf, die sich vom Negativen und vom Trauma zum Positiven und zu den Ressourcen hin umorientieren muss. Jedem Aspekt des Traumavortex steht mindestens ein Resilienzfaktor gegenüber, wie die folgenden Beispiele zeigen:

Trauma Resilienz

Ohnmacht, „Ich kann"

Hilflosigkeit Ich habe Unterstützung

Verzweiflung Zuversicht, Hoffnung

Überwältigungsgefühle Grenzen spüren und ziehen

Sinnlosigkeit des Lebens Bedeutung des Traumas

Wut, Hass Dankbarkeit, Verzeihen

Immobilität, Starre Bewegung

Dissoziation Kontakt, Körper

Starre Muster Selbstwahrnehmung im Hier und Jetzt.

 

Das therapeutische Feld

Aus der Psychotherapie weiss man, dass eine mitfühlende Beziehung für den Therapieerfolg mitentscheidend ist. Es geht darum, sich auf die Klientin „einzuschwingen" und ein Feld zu gestalten, in dem Transformation und Heilung der Wunden möglich ist. Dieses Feld muss bewusst konstelliert werden. Dies benötigt bei traumatisierten KlientInnen besonders viel Kraft. Bei Trauma ist es wichtig, dass die TherapeutIn selbst emotional und spirituell stabil ist, damit sie den Raum und die Orientierung im Hier und Jetzt mitfühlend zu halten vermag und die Zuversicht in die Weisheit des Lebens behalten kann.

Trauma benötigt die Fähigkeit der TherapeutIn,

  • die seelischen Wunden und körperlichen Leiden voller Mitgefühl zu spüren, ihre Energie auf der Schwingungsebene zu berühren, sich von den Emotionen aber nicht über- und mitschwemmen zu lassen.

  • den Kontakt zum Hier und Jetzt jederzeit zu halten und die Orientierung zu haben, was gerade geschieht (nicht „wegzudriften", wenn Eigenes aktiviert wird)

  • das Einsetzen der Sogwirkung des Traumas zu erkennen und die Klientin respektvoll zu unterbrechen, damit sie vom Traumavortex nicht überwältigt wird.

  • alle Erfahrungen der Klientin in einem „grösseren Feld" zu halten, d.h. nicht nur mit dem Geschehen an der „Oberfläche" sondern der tiefen inneren Lebenskraft, der Zuversicht und dem „kosmischen Feld" verbunden zu sein.

Die Gefahr besteht, mit gut gemeintem Helferwillen zuviel zu tun und Eigenes zu wollen, die Klientin zu überfordern und sie einzuengen. Es ist essenziell, im Kontakt mit Traumaklientinnen sich selbst gut zu spüren und zu beobachten, sich zurückzunehmen, bewusst das richtige Mass von Nähe und Distanz, Intervention und Nicht-Tun zu finden. Mitgefühl ist zu unterscheiden von Mitleid, bei dem die Therapeutin ihre Grenzen verliert, sich mit der Klientin identifiziert und deren Leid zu sehr auf sich lädt, was zum Burn-Out führen kann.

Aussagen der KlientInnen können eigene Traumata aktivieren, sodass man sich z.B. plötzlich selbst dissoziiert fühlt. Zudem haben KlientInnen die unbewusste Tendenz, TherapeutInnen in ihr energetisches Trauma-Muster hineinziehen. Typisch sind Idealisierungen („Sie sind meine letzte Hoffnung"), Abwertung („Shiatsu bringt auch nichts") und Erpressung („Wenn Sie mir nicht helfen, dann..."). Man soll als TherapeutIn nicht RetterIn sein, keine wohlfeilen Ratschläge erteilen und keine privaten Beziehungen mit der Klientin pflegen. Selbstentwertungen sind häufig. Die Klientin sucht unbewusst immer wieder die Bestätigung, dass sie „der letzte Mensch" und ein hoffnungsloser Fall sei. Man sollte keine entwertenden Formulierungen aufgreifen oder verwenden - selbst nicht in Scherzform.

Man sollte keine Trauma-KlientInnen behandeln, wenn diese Arbeit als zu belastend empfunden wird. Die Arbeit mit stark traumatisierten Menschen ist nur möglich, wenn man als TherapeutIn intensiv mit der eigenen Persönlichkeit gearbeitet hat und mit „Beziehungsfallen" umgehen kann. Man sollte zudem unbedingt Supervision in Anspruch nehmen.

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